Dieser Baum lebt schon 300 Jahre ohne Erde!
Die Kiefer auf Schloss Auerbach
An der Bergstraße in Südhessen steht die Ruine vom Schloss Auerbach. Das Markenzeichen der Ruine ist eine sieben Meter hohe Waldkiefer, die mitten auf der Schildmauer wächst und ihre flachen Wurzlen in den porösen Sandstein verankert. Seit 300 Jahren ziert der Baum schon die Ruine und kommt ganz ohne Erde aus. Sein Wurzelwerk liegt daher offen auf dem Gestein. Wie kam dieser Riesenbonsai auf die Burg und schafft es ohne Erdreich zu überleben?
Was vor über 300 Jahren auf Schloss Auerbach passierte:
Im Jahr 1674 war Schloss Auerbach einst eine der mächtigsten Burgen in Südhessen. Die eindrucksvolle Burg befand sich mitten im französisch niederländischen Krieg, der schon seit zwei Jahren anhielt und erst im Jahre 1679 enden sollte. Ein französisches Heer zog eines Tages im Auftrag von Ludwig XIV an der Bergstraße entlang und kam an der Burg vorbei. Und ein großer Teil der Bevölkerung suchte Schutz auf Schloss Auerbach vor dem Heer. Doch das Heer stürmte die Burg und alle Schutzsuchenden wurden erbarmungslos massakriert. Schließlich zerstörten die Franzosen die Burg, indem sie sie nieder brannten. Und der Rest, der von der Burg übrig geblieben war, wurde von der Bevölkerung geplündert.
Doch nur wenige Jahre später wurde die verlassene Burg im Jahr 1693 erneut zum Kriegsschauplatz. Wieder stürmten französische Truppen die Burg und ließen sie als Ruine zurück. Danach überließ man Schloss Auerbach dem Zerfall. Niemand hätte sich zu diesem Zeitpunkt vorstellen können, dass an diesem ehemaligen Schauplatz von Gräueltaten und Tod einmal eines der beeindruckendsten Naturwunder von Deutschland bestaunt werden kann.
So kam die Kiefer zur Burgruine
Vermutlich war es an einem sonnigen Frühlingstag, als der Wind den Flugsamen unserer besonderen Waldkiefer aus einem Kiefernzapfen davon trug. Welche Strecke der Samen im Drehflug wohl zurückgelegt hat? Ob es an die 150 Meter oder doch bis zu 2 km waren? Das ist nur einer der Geheimnisse der Kiefer. Gewiss ist nur, dass der Samen einige Jahre nach dem Brand auf der Burg gelandet sein muss. Dort landete er direkt auf dem inneren Burgring, hoch über den Burghöfen. Von dort aus, hat man übrigens einen fantastischen Blick über die Rheinebene, der bei klarem Wetter bis nach Rheinhessen reicht. In den luftigen Höhen, die uns Menschen einen schönen Ausblick bieten, hat die Kiefer einen Standort gefunden, der ihr einige Vorteile bietet.
Kiefern mögen es extrem
Als Lichtkeimer benötigt die Kiefer Licht zum Keimen. Hoch oben auf der Burg bekommt sie davon reichlich. Schon in jungen Jahren sind Waldkiefern sehr lichthungrig und daher konkurrenzschwach. Neben anderen Baumarten, die ihr sprichwörtlich in der Sonne stehen, gedeihen sie nur schwer. Waldkiefern bevorzugen daher Extremstandorte, an denen andere Baumarten kaum oder gar nicht wachsen können. Neben unbesiedelten Freiflächen, können dies auch Flächen sein, die von Naturkatastrophen wie z.B. Waldbränden zerstört wurden. Manchmal erfüllen eben auch menschliche Bauwerke, wie die Ruine von Schloss Auerbach, diese Standortkriterien. So konnte die Waldkiefer zwischen den Trümmern keimen und ohne jegliche Konkurrenz aufwachsen. Das Sonnenlicht hat sie dort oben ganz für sich ganz allein.
Konkurrenzlos – aber wenig komfortabel
Dennoch ist das konkurrenzlose Leben auf der Burg für die Kiefer nicht einfacher. Wie die meisten Extremstandorte, die Kiefern besiedeln, ist auch der Standort auf der Burg sehr nährstoffarm, trocken und felsig. Auf der Suche nach Wasservorkommen graben sich Kiefern mit ihrem Pfahlwurzelsystem daher bis zu sechs Meter in die Tiefe. Ihre Seitenwurzeln können dabei 16 Meter lang werden. Doch der Standort auf Schloss Auerbach ist für die Waldkiefer besonders extrem, da sie ohne Erdreich überleben muss. Wie ist das möglich?
Kiefern sind Überlebenskünstler
Kiefern sind anspruchslose Pionierbäume und wahre Überlebenskünstler. Kaum eine andere Baumart schafft es mit so wenig Wasser und Erde zu überleben. Die Waldkiefer hat sich mit ihren Wurzeln fest in den porösen Sandstein der Mauer verankert, und dringt dabei in kleinste Ritzen und Spalten vor, stets auf der Suche nach Wasser und Nährstoffen. Ihre Wurzeln verlaufen flach im Gestein oder kriechen ungeschützt auf dem Boden entlang. Leider hat die alte Kiefer dabei schon unzählige Tritte abbekommen, weil viele Leute achtlos auf ihren Wurzeln herumtrampeln.
Der 300 jährige Baumveteran lebt allein vom Regenwasser und dem wenigen Wasser aus der Luftfeuchtigkeit, dass an seinen Nadeln kondensiert und auf seine Wurzeln tropft. Seinen Nahrungsbedarf deckt er wohl allein durch die Photosynthese ab. Mit sieben Metern Höhe ist der Baum im Vergleich zu seinen Artgenossen zwar recht klein geblieben, dennoch ist seine Größe in Anbetracht der kargen Lebensbedingungen auf der Burg beachtlich. Die Kiefer wirkt wie ein übergroßer Bonsai.
Die Ruine von Schloss Auerbach wurde inzwischen in Teilen restauriert und hat sich zusammen mit der alten Kiefer zu einem beliebten Ausflugsziel entwickelt.
Bilder vom „Riesenbonsai“ gibt´s hier:
Bilder von der Kiefer von Schloss Auerbach auf Wikipedia
Im 5.Teil der Artikelserie:
In Bad Boll steht eine 200 jährige Silberpappel. Ein seltenes Alter für diese Baumart. Doch warum sind alte Pappeln so selten im Vergleich zu anderen Baumarten? Linden oder Eichen werden z.B. locker 1000 Jahre alt.