Artenrückgang auf dem Kornfeld: Was wurde aus Klatschmohn, Kornblume & Co.?

Ackerwildkräuter halten Schädlinge laut Studien effektiv fern und erhöhen die Erträge, gelten als „Erfinder“ des Salzstreuers und machten die Zucht von Chicorée erst möglich. Doch die Ackerwildkräuter sind vom Aussterben bedroht. Das und warum die Überlebenskünstler auf modernen Äckern kaum noch eine Chance haben, erfährst du in diesem Beitrag.

Artenrückgang: Ackerwildkräuter werden immer seltener
Blauer Natternkopf

Früher säumte ein üppiges Blumenmeer die Wegesränder der Äcker oder Blumen mischten sich als leuchtend rote und blaue Farbtupfen ins goldene Kornfeld. Schon seit Beginn des Ackerbaues begleiten Ackerwildkräuter als Kulturfolger des Menschen die Landwirtschaft. Nach und nach gesellten sich zu den heimischen Wildkräutern weitere Arten aus Süd-, Südosteuropa und Asien, bis schließlich die Ackerflora entstand, wie wir sie heute kennen.

Während Roggen, Weizen, Mais & Co. auf dem Acker optimal wachsen können, haben die meisten Wildpflanzen dort kein einfaches Leben. Doch gerade darin liegt der Vorteil für die Ackerwildpflanzen. Mit dem Eingreifen des Menschen, indem er z.B. den Boden pflügt, wird die Konkurrenz der Ackerwildkräuter eliminiert. Schließlich hätten die einjährigen Ackerwildkräuter gegen mehrjährige Pflanzen wie z.B. Sträucher oder Bäume auf Dauer kaum eine Chance.

Der Landwirt entfernt diese eher unfreiwillig für die Ackerwildkräuter und schafft damit einen lichtdurchfluteten Kahlschlag, den die Wildkräuter auch von Natur aus schnell besiedeln würden. So entsteht mit dem Acker eine Fläche, auf dem die Wildkräuter zunächst bessere Wachstumsbedingungen finden, als z.B. im dunklen Wald. Für sie ist der Acker wie eine gigantische Waldlichtung, die sie aus dem Wald gewöhnt sind.

Das „Wettrennen“ zwischen Landwirt und den Ackerwildkräutern

Doch im Gegensatz zur natürlichen Waldlichtung oder dem Waldrand erfordert das Leben auf dem Acker noch mehr Überlebensstrategien von den Wildpflanzen. Daher haben sich Ackerwildkräuter auf das Leben im Kornfeld spezialisiert. Einige Arten können dadurch sogar gar nicht mehr ohne Acker existieren.

Der Ackerboden wird regelmäßig bearbeitet. Den Pflanzen bleibt daher nicht viel Zeit, sich auf dem Acker anzusiedeln und zu vermehren. Die Wildkräuter müssen noch im selben Jahr blühen und Samen bilden, bevor der Landwirt wieder mit dem Pflug kommt. Wenn der Boden gepflügt wird, müssen die Wildkräuter bereits als Samen im Boden verschwinden und bis zur nächsten Saison im Boden überdauern, wenn sie überleben wollen. Ungünstige Zeiten überstehen Ackerwildkräuter problemlos. Ihre Samen sind über Jahre hin keimfähig. Im Notfall warten sie einfach auf den passenden Zeitpunkt, bis sich die Lebensbedingungen wieder verbessert haben.

Einige der Pflanzen haben erstaunliche Tricks entwickelt, um auf dem Kornfeld zu überleben. Eine „Erfindung“ aus dem Kornfeld ist so praktisch, dass sogar der Mensch sie in seinen Alltag übernommen hat. Werfen wir dazu einen Blick auf ein paar besondere Ackerwildpflanzen und deren Leben auf dem Feld.

Wildkräuter mit erstaunlichen Überlebenstricks

Der Mohn – Erfinder des Salzstreuers

Sobald der Klatschmohn mit seinen zarten leuchtend roten Blüten die Kornfelder ziert, markiert er den Beginn der warmen Sommertage. Für den Klatschmohn ist der freie Acker mit seinen offenen Stellen ideal, da seine Samen zur Keimung dem Licht ausgesetzt sein müssen, weshalb er zu den Lichtkeimern gehört.

Seine Samen verteilt der Mohn sehr trickreich. Wie ein Pfefferstreuer verstreut er sie übers Kornfeld. Die Porenkapseln von dem Mohn sehen aus wie Streubüchsen und sind mit hunderten von Samen gefüllt. Bei voller Reife öffnen sich die Kapseln und werden durch den Wind hin und her geschwenkt. Dabei rieseln zahlreiche Samen aus der Kapsel und verteilen sich rings um den Klatschmohn. Interessanterweise dienten Mohnkapseln tatsächlich als Vorbild für den Salzstreuer. Früher war er die Ackerblume schlechthin, heute findet man ihn immer weniger auf dem Feld.

Das Hellerkraut – Ein Regenballist

Einen anderen Trick zur Samenverbreitung verwendet das Stängelumfassende Hellerkraut (Microthlaspi perfoliatum). Sobald die herzförmigen Samen des Hellerkrautes reif sind, wartet es auf Regen – am besten heftige Regenschauer. Denn das Hellerkraut macht sich den Regen bei der Samenverbreitung zunutze. Als sogenannter Regenballist verwendet es die Kraft von herunterfallenden Regentropfen, um seine Samen zu verteilen. Der Aufprall der Tropfen drückt den Fruchtstiel herab und lässt die herzförmigen Schötchen aufplatzen. Der Fruchtstiel springt wieder zurück und die Samen werden bis zu 80 cm weit weggeschleudert.

Der Windhalm – „Lebendgebärende“ Gräser

Reichlich Samen verteilt auch der Gemeine Windhalm (Apera spica-venti), der häufig auf Roggenfeldern vorkommt. Bis zu 600 Samen produziert ein einziges Exemplar dieser Gräser. Der Windhalm weist dabei eine Besonderheit auf. Ab und zu hat es der Windhalm scheinbar sehr eilig mit der Fortpflanzung, da manche Samen bereits auf der Mutterpflanze mit der Keimung beginnen. Dabei handelt es sich sozusagen um „lebendgebärende“ Pflanzen, was in der Pflanzenwelt eher selten vorkommt. Vielmehr kennt man lebendgebärende Tiere.

Die Wegwarte – Der Chicorée vom Wegesrand

Mit ihren auffälligen himmelblauen Blüten ziert die Wegwarte (Cichorium intybus) stets den Wegesrand. Vermutlich stammt daher der Name. Ihre hübschen Blüten öffnet sie schon in den frühen Morgenstunden. Bis zum Nachmittag folgen sie dem Lauf der Sonne und schließen sich dann wieder. Damals war die Wegwarte eine geschätzte Wildpflanze, da man aus ihr die bekannten Wintersalate wie Chicorée, Radicchio und Zuckerhut züchtete. Der Endiviensalat ist mit der Wegwarte ebenfalls nahe verwandt. Heute wird die Urform des Chicorées meist nur noch als lästiges Unkraut angesehen.

Wegwarte
Wegwarte – die Urform des Chicoree

Das Sommeradonisröschen – Früher weit verbreitet, heute eine seltene Schönheit

Schon seit der mittleren Bronzezeit schmückt das blutrote Sommeradonisröschen (Adonis aestivalis) im Frühsommer Getreidefelder. Obwohl es im Mittelalter aus dem Orient bei uns in Deutschland einwanderte, und überall weit verbreitet war, ist es mittlerweile eine echte Rarität geworden. In Rheinhessen findet man es äußerst selten, und wenn dann oft nur vereinzelt.

Am besten gedeiht das Sommeradonisröschen auf trockenen, steinigen, sommerwarmen und kalkhaltigen Böden. Diese Eigenschaften bieten moderne Ackerböden kaum noch. Für das Sommeradonisröschen gestaltet es sich daher schwierig einen passenden Acker zu finden.

Die Kornrade – ohne den Landwirt verloren

Ähnlich wie dem Sommeradonisröschen ergeht es auch der purpurfarbenen Kornrade. Noch bis in die 60er Jahre war sie nahezu auf jedem Feld und Ackerrand zu sehen. Bei der Verbreitung der Samen ist die Kornrade auf den Landwirt angewiesen. Da ihre Kapseln im oberen Bereich zu stark verengt sind, werden die Samen meist erst beim Verwittern freigesetzt. Doch hier kommt der Landwirt ins Spiel.

Das Dreschen zerstört die Fruchtkapseln und setzt alle Samen frei. Mithilfe der damaligen Methoden zur Saatgewinnung mischten sich die Samen der Kornrade unter das Getreide und konnten aufgrund der ähnlichen Korngröße kaum voneinander getrennt werden. So wurde die Kornrade automatisch wieder aufs Feld neuausgesät.

Was sich für die hübsche Kornrade als ideal erwies, war für den Menschen alles andere als positiv, da die Samen giftig sind. So musste das Getreide mit sogenannten Radensieben gereinigt werden. Moderne Methoden der Saatgutreinigung geben der Kornrade heute allerdings keine Chance mehr sich ins Getreide zu mengen. Nur wenige Jahrzehnte später steht die Kornrade auf der Roten Liste und ist fast so gut wie ausgestorben. Ganz geschlagen gibt sich die Kornrade jedoch nicht, denn in Hessen fand man Kapseln, die sich ausnahmsweise auch schon zur Fruchtreife öffnen.

Nicht nur Unkraut – sondern effektiver Helfer bei der Schädlingsbekämpfung

Durch ihre hohe Anpassungsfähigkeit haben sich Wildkräuter zu der vielfältigen und unglaublich trickreichen Begleitflora unserer Felder entwickelt, die wir noch aus früheren Zeiten kennen. Doch die moderne Landwirtschaft hat den Anbau unserer Nutzpflanzen weiter optimiert.

Ackerwildkräuter stehen mit den Kulturpflanzen in Konkurrenz um Licht, Wasser und Nährstoffe. In der Landwirtschaft sind sie daher nicht gerade willkommen. Und so manche zerstörte Ernte geht gewiss auf das Konto von Unkraut. Unkrautvernichtungsmittel, die stärkere Düngung bzw. teilweise Überdüngung der Felder, eine höhere Bestandsdichte der Nutzpflanzen und die verbesserte Saatgutreinigung machen es Klatschmohn & Co. jedoch kaum noch möglich einen geeigneten Lebensraum auf dem Kornfeld zu finden.

Rund 90 % der Ackerwildkräuter sind verschwunden – 1200 Tierarten verlieren ihren Lebensraum

Von der rund 150 Arten umfassenden Begleitflora ist heute nicht mehr viel zu sehen. Die bunte Blütenpracht unserer Kornfelder ist rar geworden. An ihrer Stelle verweilt höchstens nur noch ein artenarmer Grünstreifen. Ganze 90 % der Ackerbegleitflora ist von den Feldern verschwunden. Und somit der Lebensraum von ca. 1200 Tierarten. Darunter auch viele nützliche Arten wie z.B. Insekten und Spinnen, die verhindern, dass ganze Ernten komplett von Blattläusen oder anderen Schädlingen vertilgt werden.

Ackerwildkräuter steigern den Ertrag und somit den Gewinn

Während die Artenvielfalt auf dem Kornfeld immer weiter zurückgeht, fallen umso mehr Schädlinge über die Ernte her. Jedes Jahr richten sie dabei Ernteausfälle in Millionenhöhe an. Immer mehr Pflanzenschutzmittel werden erforderlich. Doch Forscher zeigten, dass Ackerwildkräuter ein viel effektiverer Schutz gegen Schädlinge auf dem Kornfeld sind.

In einer Feldstudie in China, Vietnam und Thailand pflanzten Forscher einheimische Wildpflanzen an die Ränder von Reisfeldern. Die heimischen Blütenpflanzen dienten als Nahrung für Insekten. Die Bauern durften für die Studie ihre Felder nur mit Insektiziden behandeln, wenn es wirklich notwendig war. Die Kontrollfelder ohne die heimischen Wildpflanzen in der Nähe wurden dagegen so wie immer mit Insektiziden behandelt. Im Zeitraum von vier Jahren zählten die Forscher die Zahl der Schädlinge, deren Fressfeinde und dokumentieren den Einsatz von Insektiziden.

Nach vier Jahren konnten die Forscher feststellen, dass die Anzahl der Schädlinge auf den Feldern mit den Wildkräutern deutlich zurückging. Die Population des Hauptschädlings, die Braunrückige Reiszikade, nahm erheblich ab und ein Rückgang der Reis-Spitzkopfzikade konnten sie ebenfalls feststellen.

Durch die blühenden Ackerstreifen konnten die Bauern den Einsatz von Insektiziden um 70 % verringern. Der Ertrag erhöhte sich um 5% im Gegensatz zu den Kontrollfeldern, bei denen am Rand keine heimischen Pflanzen wuchsen.

Die heimischen Wildkräuter haben jede Menge Spinnen und andere Insekten angelockt, die die Schädlinge wie z.B. die Zikaden in den Reisfeldern in schachhalten. Die heimischen Wildkräuter haben somit nicht nur die Ernte gerettet, sondern sogar den Ertrag erhöht.

In meinem Buch „Geheimnisvolle Pflanzenwelt“ erfährst du noch mehr erstaunliche Tricks, wie Ackerwildpflanzen ihre Samen auf dem Kornfeld verteilen. Z.B. wie sich Samen mit einem Bohrantrieb selbst in den Boden eingraben.

Noch mehr über die Verbreitung von Samen im Buch Geheimnisvolle Pflanzenwelt.

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