Der Speierling: Das seltene Wildobst für den Apfelwein gilt heute als Zukunftsbaum

Speierlingsfrüchte am Baum

Der Speierling ist als Zutat im traditionellen Apfelwein sehr beliebt. Vor rund 30 Jahren wäre er jedoch beinahe ausgestorben und war selbst in Fachkreisen so gut wie unbekannt. Jetzt im Klimawandel gilt er als Zukunftsbaum. Im großen Spezial-Beitrag stellt Botanik Guide das einst völlig vergessene und wenig bekannte Kulturobst vor.

  • Wie der Speierling in den 1990ern für mediales Aufsehen sorgte
  • Warum er so selten ist und fast unbemerkt ausgestorben wäre
  • Über seine Kulturgeschichte, Verwendung als Kulturobst, Heilpflanze und Holzlieferant
  • Wie der Speierling die heimische Landschaft und die Gärten bereichert
  • Wieso seine Nachzucht ein 2.000 Jahre altes Rätsel war
  • Der Speierling als Zukunftsbaum im Klimawandel für Wald, Stadt und Garten

Der Speierling sorgt als seltenste Baumart Deutschlands in den 90ern für Aufsehen

Als in den frühen 90ern eine altbekannte Wildobst-Baumart zum „Baum des Jahres 1993“ gewählt wurde, sorgte dies für unerwartet viel Aufsehen. Die Wahl fiel auf den Speierling, eine Nutzpflanze mit langer Kulturgeschichte. Aber die meisten Leute, die von dem vergessenen Wildobst hörten, fragten sich: Was ist denn eigentlich ein Speierling? Sogar in der Fachwelt war er fast unbekannt. Da das heimische Obstgehölz extrem selten und deshalb akut vom Aussterben bedroht war, hatten oft noch nicht einmal Baumfreunde einen Speierling zuvor gesehen.

Plötzlich war der Baum in aller Munde und erregte mediales Interesse. Erstmals berichtete fast jede Tageszeitung über ihn. Ebenso zahlreiche Zeitschriften und Fernsehsendungen veröffentlichten Beiträge zum seltenen Speierling. Dies weckte noch mehr Interesse an dem einst in Vergessenheit geratenen Wildobst, das traditionell zur Herstellung von Apfelwein verwendet wird. Baumschulen erlebten daraufhin einen großen Ansturm, denn jetzt war der Speierling als Gartenbaum so gefragt wie nie zuvor.

Der starken Nachfrage konnten die Baumschulen anfangs gar nicht nachkommen. Schließlich konnte ein Jahr zuvor niemand ahnen, welche nachhaltigen und positiven Auswirkungen die alljährliche Wahl zum „Baum des Jahres“ dieses Mal auf den Bestand des Speierlings haben wird. Hinzu kam, dass zu dieser Zeit in Deutschland nur etwa 4.000 Exemplare dieser Obstbaum-Art existierten. Doch dazu gleich mehr. Kommen wir zunächst zu dem, was den Speierling so besonders macht, seiner traditionellen Verwendung und warum er beinahe unbemerkt ausgestorben wäre.

Früher stand der Speierling in jedem Klostergarten – heute gibt es von der Obstart nur noch wenige Baumveteranen

Seit über 1.000 Jahren ist der Speierling schon in Kultur. Im Mittelalter war er weitverbreitet und stand als Hofbaum in fast jedem Dorf. Sein lateinischer Name „Sorbus domestica“ lässt heute noch erahnen, wie sehr man ihn früher wegen seiner Früchte als Gartenbaum schätzte. Übersetzt bedeutet „domestica“ so viel wie „häuslich“ oder noch passender „zum Haus gehörig“. In Klostergärten konnte man ihn ebenfalls häufig finden. Der Speierling ist in Mittel- bis Südeuropa beheimatet. Bei uns in Deutschland kommt der hübsche wärmeliebende Baum hauptsächlich in milden Gegenden wie z. B. Weinbauregionen vor. Damit er sich prächtig entwickelt, benötigt er neben Wärme viel Licht und Platz. Als seltenste Baumart Deutschlands wächst er in kleinen Gruppen. Oft findet man allerdings nur Einzelbäume.

Frei stehende Exemplare wachsen daher zu stattlichen Baumpersönlichkeiten heran, die über 20 Meter hoch in den Himmel ragen. Ob in freier Natur oder im Garten, der attraktive Baum ist zu jeder Jahreszeit eine Bereicherung. Mit seinem ausladenden Blätterdach im Sommer und dem markanten Astwerk im Winter prägt der Speierling das Landschaftsbild. Die schönsten Speierlinge findet man deshalb meist in Feldfluren, auf weiten Wiesen oder in der Nähe von Waldrändern. Einige dieser Baumveteranen haben einen beachtlichen Stammdurchmesser von 1,40 Meter und werden rund 150 Jahre alt. Manche Exemplare können aber auch ein biblisches Alter von bis zu 400 Jahren erreichen.

Der Speierling als heimische Bienenweide

Ende Mai bis Anfang Juni herrscht im Speierling munteres Insektentreiben. Mit den ersten Frühsommertagen öffnet er zwischen den Fiederblättern seine Blüten-Schirmrispen. Die weißen Blütenwolken verströmen einen angenehmen Duft, von dem Bienen und viele andere Insekten geradezu magisch angezogen werden. Bis ein junger Speierling blüht, dauert es einige Zeit. Meist blühen die Bäume ab einem Alter zwischen 10 und 15 Jahren zum ersten Mal. So üppig wie die Blütenpracht, ist auch später im Herbst die Ernte der kleinen apfelähnlichen Früchte, von denen der Speierling beachtliche Mengen produziert.

Üppige Ernte: Im Herbst trägt der Speierling zahlreiche apfelähnliche Früchte

Ende September hängen die Äste vom Speierling voller gelbroter Früchte, die nun in der Herbstsonne reif werden. In guten Jahren bringt der Baum reiche Ernte von bis zu 1.000 kg auf die Waage. Die meisten Speierlinge tragen apfel- oder birnenförmige Früchte. Es gibt aber auch Exemplare mit anderen Formen, wie etwa oval, kegel- oder pflaumenförmig. Bei Früchten, die besonders viel Sonne abbekommen, färbt sich die Schale rötlich. Dadurch sehen sie wie kleine Äpfel aus und könnten auf den ersten Blick leicht mit ihnen verwechselt werden.

Tatsächlich ist der Speierling ein Verwandter von unserem beliebten Kulturobst. Wie der Apfel und die Birne gehört auch er zur Familie der Rosengewächse. Eng verwandt ist der Speierling außerdem mit der Echten Mehlbeere (Sorbus aria), Elsbeere (Sorbus torminalis) und der Eberesche (Sorbus aucuparia), die wir in vielen Gärten und Parks als Zierbaum finden. Die gefiederten Blätter des Speierlings sehen denen der Eberesche daher sehr ähnlich. Mit seinen gelbroten Früchten erinnert er dadurch im Herbst an eine Mischung aus Apfelbaum und Eberesche. Aus ihnen wird traditionell Apfelwein und viele weitere Köstlichkeiten hergestellt. Dazu müssen sie im Frühherbst rechtzeitig geerntet werden, bevor sie reif sind.

Speierlingsfrüchte haben unterschiedliche Formen und Farben

Frucht-Formen des Speierlings

– mittelbauchig und kurzachsig (kugelrund)
– rund bis apfelförmig
– birnenförmig
– kegelförmig
– oval
– elliptisch bis pflaumenförmig

Frucht-Farben des Speierlings
gelb, orange, gelbrot, braun

Unterschiedliche Reifezeiten
Die Ernte- bzw. Reifezeit variiert beim Speierling ebenfalls. Birnenförmige Sorten werden zwischen September und Oktober reif. Andere mit apfelförmigen Früchten reifen hingegen frühestens im August oder erst sehr spät bis zum Februar. Späte Sorten werden daher meist im Winter geerntet.

Der Speierling in der Apfelwein-Herstellung

Im Frankfurter Raum wird noch heute der traditionelle Speierlings-Apfelwein hergestellt. Anders als bei herkömmlichen Apfelweinen wird die Frankfurter Spezialität mit dem Speierlingsaft veredelt, der aus den Früchten gewonnen wird. Durch die Zugabe von Speierlingsaft in der Menge von 1 bis 3 %, wird die Qualität des Apfelweins verbessert. Er wird dadurch haltbarer, klarer und besonders schmackhaft. Der „Speierling“, wie das Getränk in Hessen auch gerne genannt wird, gehört daher zu den beliebtesten Apfelweinsorten. So ist der Name „Speierling“ zumindest unter Apfelwein-Trinkern bekannt. Dennoch wissen nur die wenigsten, dass es sich hierbei um das seltene Wildobst handelt. Viele vermuten hinter der Bezeichnung eher eine edle Apfelsorte oder eine andere Namensherkunft.

Schon gewusst?

Früher enthielt Apfelwein viel mehr Speierlingsaft
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts enthielt der Apfelwein wesentlich mehr Speierling als heute. Damals mischte man dem Apfelmost 25 oder sogar 40 % Speierlingssaft bei. Überlieferungen zufolge soll daraus ein vorzüglicher Apfelwein entstanden sein. Im Laufe der Zeit wurde der Anteil jedoch immer weiter gesenkt, bis er nur noch 1 – 3 % beträgt. Wenn der Apfelsaft sehr süß ist, werden ihm meist größere Mengen Speierling beigefügt als bei saurem.

Unreife Speierlingsfrüchte für die Apfelweinherstellung
Unreife Speierlingsfrüchte

Für die Apfelweinherstellung werden in den Keltereien die sauren und unreifen Speierlingsfrüchte verwendet. Diese enthalten viele Gerbstoffe, durch die der naturtrübe Apfelwein erst seine klare goldene Farbe erhält und sein fruchtig herbes Aroma entfaltet. Die Ernte der Früchte beginnt daher schon Anfang bis Mitte September, bevor sie mit der vollen Reife weich werden und an Säure verlieren.

Seit jeher verarbeiten die Menschen verschiedene Früchte gerne zu Wein oder Schnaps. Als Zugabe zur Qualitätsverbesserung des Apfelweins wird der Speierling allerdings erst seit Ende des 18. Jahrhunderts verwendet. Obwohl seine Verwendung bei der Apfelweinherstellung weit verbreitet war, geriet sie vielerorts im 20. Jahrhundert wieder in Vergessenheit.

Frankfurt ist einer der wenigen Orte, in denen diese Tradition bis heute erhalten und fortgeführt wird. Der Frankfurter Raum ist deshalb für seine alten Speierlings-Baumbestände bekannt. Viele Bestände, die man hier antrifft, haben eine weit zurückreichende Kulturgeschichte und sind das Ergebnis aus Jahrhunderte langer Zucht. Die Bäume tragen daher viele und besonders große Früchte, so wie sie zur Weiterverarbeitung benötigt werden. Birnenförmige Früchte kommen allgemein häufiger vor, obwohl sie oft schneller weich werden als die selteneren apfelförmigen Sorten.

Wie schmeckt der Speierling und ist er roh essbar?

Am Baum hängen die Früchte wie kleine appetitliche Äpfel, die geradezu darauf warten, probiert zu werden. Aber so schmackhaft sind sie dann doch nicht – im Gegenteil. Durch ihren hohen Gerbstoffgehalt sind sie so sauer, dass man sie direkt wieder ausspuckt. Wahrscheinlich daher auch der Name „Speierling“. Regional ist der Baum unter weiteren Namen wie Spierling, Spierapfel, Sporapfel, Sperberbaum, Sperbelbaum oder Spreigel bekannt. Wer den Speierling roh genießen möchte, muss etwas warten. Erst wenn sich die Früchte braun färben und somit voll- bis überreif werden, sind sie genießbar. Dann entfalten die Speierlinge ihre Süße und schmecken ähnlich wie Apfelmus oder Quitte. Manche erinnert der Geschmack auch an Zimt oder Marzipan.

Botanik Guide Tipp

Speierlingsfrüchte nachreifen lassen
Sobald die Früchte reif sind, fallen sie vom Baum. Wer sie früher ernten möchte, kann sie in Kisten an einem kühlen Ort lagern und dort nachreifen lassen. Wie bei den Mispeln fördert der erste Herbstfrost die Reifung. Wenn die Speierlinge braun und weich werden, kann man sie frisch verzehren oder zu Marmelade und Gelee verarbeiten.

Gelee, Marmelade & Likör – Delikatessen aus Speierling

Der Apfelwein gilt wohl als die bekannteste Verwendungsmöglichkeit des Speierlings. Neben dem beliebten Getränk gibt es noch einige andere Leckereien, zu denen man ihn verarbeiten kann. Aus den reifen Früchten wird oft Gelee, Mus und Kompott hergestellt. Zusammen mit Äpfeln, Birnen oder Quitten entsteht Speierlings-Konfitüre mit einzigartigen fruchtigen Geschmacksnuancen. Manchmal wird das Fruchtmus auch zu Delikatessen wie Speierlingsbrot verarbeitet, ähnlich wie das bekannte Quittenbrot. Der fruchtige Speierlingswein schmeckt dezent wie Birnen und Feigen. Feiner Speierlingsschnaps erinnert hingegen an Kirschgeist oder Zwetschgenschnaps. Ein seltener Genuss ist edler Speierlinglikör, der eine süß fruchtige Note hat und nach Mostbirne und Marzipan schmeckt.

Der Speierling in der Volksmedizin

Im Laufe der Geschichte taucht der Speierling in der Literatur nicht nur als beliebtes Obst auf, sondern auch immer wieder in vielen alten Medizinbüchern. In der Volksmedizin waren die Früchte ein bekanntes Hausmittel gegen Magen- und Darmbeschwerden. Laut historischen Überlieferungen halfen die getrockneten Früchte, die normale Verdauungsfunktion wiederherzustellen. Neben Gerbstoffen enthalten Speierlinge viele Nährstoffe wie Vitamin C, Kalium, Kalzium, Eisen, Magnesium, Phosphor und Mangan.

Schon gewusst?

Speierlinge als Leckerbissen für Tiere
Unter Tieren ist der Speierling ebenfalls sehr beliebt. Im Garten kann man beobachten, wie gerne Vögel die Früchte aufpicken, was den Baum zu einem idealen Vogelnährgehölz macht. Auch andere Gartenbewohner oder Wildtiere wie kleine Nagetiere, Marder, der Dachs sowie Rehe und Wildschweine machen sich über die Früchte her. Im Naturgarten ist der Baum daher eine echte Bereicherung für die Tierwelt.

Ein Baum mit den prächtigsten Herbstfarben

Während im Herbst die Keltereien auf Hochtouren laufen, beginnt der Speierling ab Oktober in den schönsten Herbstfärbungen zu leuchten. Im Laufe des goldenen Oktobers lässt sich an dem Baum je nach Sorte die breite Farbpalette des Herbstes bestaunen. Von Goldgelb, satten Farbverläufen in leuchtend Orange bis hin zu intensivem Kupferrot wird er in Feld, Wiese und Garten selbst an nebligen Tagen zum Blickfang.

Je näher die frostigen Nächte rücken, desto mehr lässt der Speierling seine bunten Blätter fallen. Anders als die meisten Baumarten verliert er seine Blätter aber nicht einzeln, sondern wirft sie immer nur als ganzen Fiederwedel ab. Eisige Minusgrade und Spätfröste machen dem Speierling nur wenig aus. Immer wieder finden sich Berichte von Exemplaren, die sogar eisige Winter mit rund – 32 °C überstanden haben sollen. Der Nachwuchs steckt die rauen Nachtfröste ebenfalls gut weg. So überstehen die jungen Speierlings-Bäumchen und bereits die Keimlinge Temperaturen von – 5 °C. Speierlinge sind zähe Burschen, wie man auch an ihrem starken und wertvollen Holz sehen kann, dass früher vielseitig verwendet wurde.

Der Speierling ist ein Schwergewicht unter den heimischen Hölzern

In seiner Kulturgeschichte wurde der Speierling hauptsächlich zur Fruchtgewinnung angebaut. Bis vor etwas mehr als 100 Jahren war auch sein Holz ein sehr gefragter Rohstoff, aus dem viele Alltagsgegenstände gefertigt wurden. Sein schweres Holz hat eine mittlere Rohdichte von 880 kg/ m³ und ist daher massiver als das der gängigen Nutzhölzer wie Rotbuche, Eiche oder Hainbuche. Somit gehört er zu den heimischen Baumarten mit dem schwersten Holz. Nur die Kornelkirsche (Cornus mas) ist hierzulande aus einem noch härteren Holz geschnitzt.

Als viele Maschinen noch aus Holz gebaut wurden, suchte man besonders stabile und robuste Holzarten, die sich vor allem für mechanische Verwendungszwecke eigneten. Durch seine Härte und Elastizität ist Speierlingsholz das ideale Material für Teile, die mechanisch hoch beansprucht werden, wie z. B. Gewinde oder Zahnräder für Getreidemühlen und Weinpressen. Häufig setzte man es auch ein, um Vibrationen zu verhindern. Da das Holz des Speierlings außerdem schwer spaltbar ist und sich gut bearbeiten, drechseln und polieren lässt, fand es früher zahlreiche weitere Verwendungsmöglichkeiten, wie folgende Auflistung zeigt.

Historische Verwendungszwecke von Speierlingsholz

Landwirtschaft
Achsen, Ackergeräte, Zahnräder für Getreidemühlen und Weinpressen, Mühlradschaufeln, Nägel für Mühlräder, Ölmühlen, Pressen, Holzzähne (Radkämme), Zapfenlager

Alltagsgegenstände
Brillengestelle, Lineale, Möbel, Handgriffe, Kegelkugeln und Kegel, Billardstöcke, Schnitzereien

Musikinstrumente
Blockflöten, Dudelsackpfeifen, Orgelpfeifen, Geigen, Cembalo

Waffen
Büchsenmacherholz für Gewehrschäfte, Pistolengriffe

Werkzeug und sonstige Gegenstände
Bugholz im Schiffsbau, Karosseriebau, Kohlholz, Flaschenzugrollen, Gewindespindeln, Kammräder, Kämme, Hammer, Schrauben, Druckschrauben, Fassdauben, Spindeln, Stangen für Färbereien, Walzen, Druckrollen, Webgeräte, Hobelsohle, Zeichengeräte.

Speierling ist eine Holz-Rarität und als „Schweizer Birnbaum“ im Handel

Um die 1950er Jahre ist der Speierling mit seinem feinen, rötlich bis leicht violett gefärbten Holz, das einst für Furniere im Möbelbau sehr beliebt war, bereits in Vergessenheit geraten. Selbst unter Holzliebhabern wurde er zunehmend unbekannt. Von dem regen Gebrauch der vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten von damals ist heute nicht mehr viel übrig. Wegen seiner Seltenheit ist Speierlingsholz im Handel schwer zu bekommen und wird nur in äußerst kleinen Mengen angeboten. Entsprechend teuer wird das Holz gehandelt. So soll ein Furnierstamm dieser Baum-Rarität schon einen stolzen Preis von 6.000 Euro pro Festmeter erzielt haben.

Da sein Anteil auf dem Holzmarkt so gering ist, wird der Speierling beim Vertrieb oft einfach zur Elsbeere und dem Birnbaum zugerechnet und als Gemisch unter der Bezeichnung „Schweizer Birnbaum“ verkauft. Sobald das Holz vom Speierling gedämpft wurde, ist es nicht mehr von dem des Birnenbaumes oder der Elsbeere zu unterscheiden. Aus dem hochwertigen, teuren Holz werden heute noch edle Möbel hergestellt. Manchmal wird die Holz-Rarität auch unter ihrem eigenen Namen vermarktet, um sie zu höheren Preisen verkaufen zu können.

Obwohl der Speierling ein wertvoller Holzlieferant ist, sucht man ihn in modernen Forstwäldern meist vergeblich. Doch warum ist das einst begehrte Wildobst eigentlich so selten und wieso wäre es beinahe unbemerkt ausgestorben?

Warum der Speierling aus dem Wald und der Landschaft verschwand

Speierlinge am Baum
Im Hochwald ist es dem Speierling als Mischwaldbaum viel zu dunkel

Eigentlich wuchs der Speierling nicht nur wie heute vereinzelt in der Feldflur, sondern in lichten Mischwäldern. Als die Menschen anfingen, Forstwirtschaft zu betreiben, fand er lange Zeit geeignete Wachstumsbedingungen im Mittelwald. Bei dieser historischen Kulturform waren die Wälder wesentlich heller. Zwischen den mächtigen alten Eichen ließ man viel Platz für das Unterholz, das auch Stockausschlag genannt wird und als Brennholz genutzt wurde. Durch die locker stehenden Bäume gelangte im Mittelwald deshalb mehr Sonnenlicht zu den unteren Baumschichten, sodass dort eine Vielzahl lichtliebender Pflanzenarten wie der Speierling gedeihen konnten.

Vor über 100 Jahren führte man jedoch ein neues Modell für den Waldbau ein: den Hochwald. Brennholz war nun kaum noch gefragt, Bauholz dafür umso mehr. Mit dem Hochwaldsystem wurde der Forst leistungsstärker gemacht und für die Ertragssteigerung optimiert. Dicht an dicht wachsen in diesen neuen Wäldern die Bäume und bilden schmale lange Stämme, während sie sich zum Licht strecken. In den dunklen und geschlossenen Beständen kommt kaum noch Sonnenlicht zu den unteren Baum- und Strauchschichten. Eingeengt von den Nachbarbäumen wird der konkurrenzschwache Speierling von den schnellwüchsigen Buchen überholt. Schon bald befindet sich der lichthungrige Wildobstbaum im Schattenwurf des Buchen-Blätterdachs. Neben dem Speierling verschwanden dadurch gleichzeitig auch zahlreiche andere lichtliebende Pflanzen- und Tierarten.

Die wenigen Speierlinge, die in den Forstwäldern übrig geblieben sind, haben mit dem Lichtmangel zu kämpfen. Sie wachsen deshalb bis zu 30 Meter hoch in die Länge und sind dadurch viel höher und schmäler als die Exemplare in der offenen Feldflur.

In der Forstwirtschaft wird er häufig mit anderen Baumarten verwechselt

Obwohl der Speierling unter Schutz steht, fällt er oft bei der Durchforstung versehentlich der Kettensäge zum Opfer. Der Grund: Die jungen Bäume sehen der Eberesche sehr ähnlich, weshalb es leicht zur Verwechslung kommt. Manchmal werden sogar große Speierlinge, wenn sie gerade keine Blätter oder Früchte tragen, wegen ihrer Rinde fälschlicherweise für eine Eiche gehalten. Weil der Baum leicht mit anderen bekannten Baumarten verwechselt werden kann, wird der Speierling im Forst häufig gar nicht bemerkt und schließlich auch nicht geschützt. Um dieses Unglück zu verhindern, markiert man in Waldgebieten den Speierling inzwischen mit einem blauen Ring, damit er von Forstleuten sofort erkannt wird.

Den Speierling in großer Zahl zu vermehren war schwierig – es dauerte 2.000 Jahre!

In der Natur vermehrt sich der langsam wachsende Speierling neben Wurzelausläufern über Samen, die jedoch meist eher als Leckerbissen für Mäuse dienen, bevor sie keimen. Jungpflanzen haben es selbst bei ausreichend Platz auch nicht einfacher, da sie unter Rehen und Kaninchen eine echte Leibspeise sind. Förster versuchten um 1940 das seltene Wildobst zu vermehren, um ein Aussterben zu verhindern. Allerdings wollte die Nachzucht einfach nicht gelingen. Kein Wunder, denn die schwierige Suche nach einer erfolgreichen Methode, den Baum in großen Mengen über Samen zu vermehren, dauerte bereits 2.000 Jahre. Schon die Römer fanden keine vielversprechende Möglichkeit zur Nachzucht, auch andere Techniken konnten sich nie durchsetzen.

Schließlich widmete sich Prof. Dr. Ernst ROHMEDER (* 1903 † 11. Juli 1972), der die Forstsamenkunde und Forstpflanzenzüchtung in der Forstwirtschaft etabliert und nachhaltig geprägt hat, dem Problem. Rund 10 Jahre später gelang ihm endlich der Durchbruch. Das Geheimnis: die Samen müssen, sobald sie reif sind, für zwei bis drei Monate bei einer Temperatur von 4 °C in feuchten Sand gebettet werden. Mit dieser nasskalten Behandlung wird die Keimhemmung, die durch die Inhaltsstoffe im Fruchtfleisch verursacht wird, erfolgreich überwunden. Nachdem ROHMEDER seine Ergebnisse 1951 veröffentlichte, konnte die Nachzucht vor allem durch den Einsatz des Forstverwalters Fedor BAMBERG weiterentwickelt werden.

Trotz des sensationellen Durchbruchs in der Speierlingszucht, verschwand die Zuchtmethode schnell wieder in der Schublade und geriet somit erst mal in Vergessenheit. Im Jahre 1985 wurde sie langsam wiederentdeckt. Doch spätestens als der Speierling die Wahl zum „Baum des Jahres 1993“ gewann, wurde sie von den Baumschulen dringend benötigt.

Das große Comeback des Speierlings

Die Wahl des Speierlings zum „Baum des Jahres“ löste überall positive Resonanz bei den Medien aus, die sogar die Nachbarländer erreichte. Damit gelang es schließlich den seltenen Waldbaum mit den apfelähnlichen Früchten, wieder bekannt zu machen und somit zurück ins Bewusstsein der Allgemeinheit zu bringen. Und nicht nur das: Förster, Naturschützer, Gärtner und zahlreiche Baum- und Pflanzenliebhaber setzten sich dafür ein, den Speierling vor dem akuten Aussterben zu retten – mit Erfolg. In den darauf folgenden Jahren wurden in großer Zahl neue Speierlinge herangezogen und gepflanzt. Insgesamt pflanzte man in den Jahren von 1985 bis 2000 über eine halbe Million (etwa 600.000) junge Bäumchen nach.

Junger Speierlingsbaum
Junger Speierling

Gleichzeitig wurden immer mehr Förster auf den Baum aufmerksam und fingen an, die noch wenigen vorhandenen Speierlinge in ihren Wäldern zu kartieren. In den Nachbarländern machte man sich ebenfalls auf die Suche nach dem Speierling, und tatsächlich wurden auch dort ältere Bestände entdeckt, die von nun an besser gepflegt und geschützt werden konnten.

Durch Rettungsmaßnahmen der Altbestände und die großen Pflanzaktionen, die vielerorts stattfanden, ist der Fortbestand des Speierlings für die nächsten 100 Jahre gesichert. Nur ein Jahr später gründete Professor Dr. Wedig Kausch-Blecken von Schmeling, der mit seinem Engagement und dem Buch „Der Speierling“ einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt des Speierlings geleistet hat, mit dem Frankfurter Kelterer Günther Possmann 1994 den „Förderkreis Speierling“. Seit über 20 Jahren setzt der Förderkreis sich inzwischen länderübergreifend mit Kartierungen, Neupflanzungen und Öffentlichkeitsarbeit für den Artenerhalt des seltenen Speierlings ein. Auch in den Jahren danach hält das Interesse an dem beliebten Wildobst weiter an, wie die Gemeinde Wehrheim zeigt.

Apfelwein-Wettbewerb in Wehrheim – Wie der Ort einen Teil seiner Kulturlandschaft zurückgewann

Die Gemeinde Wehrheim liegt rund 22 Kilometer von Frankfurt entfernt und pflegt bis heute die Kultur des Kelterns. Auch hier wurde früher der Apfelwein traditionell mit Speierling veredelt. Entsprechend befanden sich um den Ortskern viele alte Streuobstwiesen, von denen wenige Relikte übrig waren. Den Speierling hatte man hier schon lange vergessen und somit auch die drei letzten älteren Exemplare, die dort standen. Da die Baumart nun ins Bewusstsein der Leute rückte, schenkte man den verbliebenen Baumveteranen mehr Aufmerksamkeit und pflanzte in einer großen Aktion im Jahre 1999 unter regem öffentlichem Interesse eine neue Speierlings-Allee.

Speierlingsfrüchte am Ast

Im selben Jahr veranstaltet der BUND Wehrheim erstmals den Apfelwein-Wettbewerb, der sich bis heute großer Beliebtheit erfreut. Seitdem wird jedes Jahr der beste selbstgekelterte Apfelwein zum Gewinner gekürt. So haben die Leute in der Ortschaft nicht nur den Speierling wiederentdeckt, der jetzt gerne von Apfelweinfreunden verwendet wird, um beim Wettbewerb zu gewinnen. Die alten Streuobstwiesen finden ebenfalls wieder Verwendung und werden gepflegt. Gleichzeitig werden Kenntnisse über die seltenen und ökologisch wertvollen Wildobstarten vermittelt und so das Interesse geweckt. Verschiedene Pflanzaktionen finden bis heute immer wieder statt. Durch die positive Wende hat so die Gemeinde Wehrheim einen Teil seiner Kulturlandschaft zurückgewonnen und trägt seitdem den Titel „Apfeldorf“.

Der Speierling heute – Ein Zukunftsbaum in Zeiten des Klimawandels

In den letzten Jahren ist es wieder ruhiger um den Speierling geworden. Doch das könnte sich vielleicht schon bald ändern. Gärtner, Städteplaner und Förster setzen seit einiger Zeit bei Neupflanzungen vermehrt auf Baumarten, die für die trockenen Hitzesommer, die der Klimawandel mit sich bringt, besser geeignet sind.

Die Stiftung „Wald in Not“ hat dazu im Jahr 2008 die Forschungsstudie „Klimawandel und Baumarten-Verwendung für Waldökosysteme“ bei der TU-Dresden in Auftrag gegeben. Insgesamt 47 Waldbaumarten wurden in der Studie bewertet, inwieweit diese unter den Bedingungen des Klimawandels in unseren Wäldern gedeihen. Die Frostresistenz sowie die Toleranz gegenüber anhaltenden Trockenphasen standen dabei im Mittelpunkt.

Bei der Frostresistenz wurde der Speierling insgesamt mit „gut frostresistent“ bewertet, da er Spät- und Winterfröste gut übersteht. Für trockene Standorte ist der hübsche Baum laut Studie ebenfalls sehr gut geeignet. Der Speierling gehört damit zu den Baumarten, die auch im Klimawandel in unseren heimischen Wäldern gedeihen werden.

Neben der Chance als ein Waldbaum der Zukunft hat das altbekannte Wildobst auch das Potenzial zum idealen Stadtbaum. Mit seiner guten Toleranz gegenüber Frost und Trockenheit hat er es auch auf die Liste der Zukunftsbäume für Städte (KLimaArtenMatrix für Stadtbaumarten und Sträucher (KLAM-Stadt)) geschafft. So könnte uns in Zukunft der fast verloren gegangene Speierling in den Gärten, Städten, auf Obstwiesen oder beim Waldspaziergang noch öfter begegnen.

Empfehlenswerte Literatur zum Speierling

Das 1992 erschiene Buch „Der Speierling“ von Professor Dr. Wedig Kausch-Blecken von Schmeling liefert als Standartwerk umfangreiches Wissen über den seltenen Speierling. Mit seinem Werk hat er auf das Aussterben der Baumart aufmerksam gemacht, sodass der Speierling zum „Baum des Jahres“ gewählt wurde.

Mehr über Professor Dr. Wedig Kausch-Blecken von Schmeling gibt es auf Wikipedia: Zu seiner Biografie

Ebenfalls empfehlenswert ist die Fachzeitschrift Corminaria von dem Förderkreis Speierling.

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